Im 5. Jh. n. Chr. passierte auch in Sri Lanka ein königlicher Umsturz, wie er in jeder Landesgeschichte irgendwann einmal vorkommen muss: Prinz Kassapa reißt die Macht an sich, lässt seinen Vater bei lebendigem Leib einmauern und vetreibt seinen Bruder den Kronprinzen nach Indien. Anschließend verlässt er mit seinem Gefolge Anuradhapura, um sich eine Festung in den Dschungel zu bauen, die seiner Paranoia und seinem Größenwahn gerecht wird: Sigiriya.
Der Löwenfelsen ragt über 200 Meter senkrecht aus dem flachen Waldland empor. Durch ausladende Gärten mit Wasserbecken und Springbrunnen gelangt man an den Überresten eines buddhistischen Klosters vorbei, wo die mächtigen Wurzeln eines Bodhi-Baums langsam wieder die Zeugnisse menschlicher Existenz zurück erobern. Gips- und Farbreste an den Wänden erinnern an die einstige Pracht, in der dieser Königssitz einmal erstrahlt haben muss. Heute tummeln sich vor allem die kleinen braunen Ceylon-Hutaffen und die größeren grau-weißen Hanuman-Languren zwischen den Touristen in den Ruinen.
Eine verwinkelte Treppe schlängelt sich zwischen Felsbrocken hindurch die steile Felswand nach oben. Auf halber Höhe zum Palast passiert man dabei eine kleine Höhle, in der Restauratoren damit beschäftigt sind, die berühmten Felszeichnungen der Wolkenmädchen wieder herzustellen. Bei den Fresken handelt es sich um detailverliebte Halbkörperportraits von leicht bekleideten Damen, die sich scheinbar tanzend über die Wände bewegen. Besonders faszinierend sind die durchsichtigen Gewänder, die mit hoher Kunstfertigkeit über die drallen Rundungen der Tänzerinnen gemalt wurden. Sie sind reich verziert mit Schmuck, tragen den typischen pyramidenförmigen Kopfschmuck aus Blüten am Kopf und zeigen einen leicht gerundeten Bauchansatz, der wohl auch hier für Fruchtbarkeit steht. Leider ist uns ausgerechnet hier das Fotografieren verboten. Hier gibt es aber eine kleine Ansicht der Wolkenmädchen:
Am weiteren Weg nach oben passieren wir die Mirror Wall, eine für uns mit unvorstellbaren Mitteln an die Steilwand angebaute über zwei Meter hohe Mauer, die heute mit zahlreichen Graffiti bekritzelt ist, zur Zeit König Kassapas jedoch auf Hochglanz poliert war. Schenkt man der Überlieferung Glauben, so glänzte die Mauer wie ein Spiegel im Sonnenlicht. Daher auch ihr Name. Heute sind die Graffiti Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, weil Besucher schon seit dem Fall König Kassapas Zeugnisse ihrer Anwesenheit hinterlassen haben. Eine spannende Erkenntnis die diese Untersuchungen gebracht haben: Ab dem 13. Jh. nehmen die verzeichneten Emotionen und die Poesie der Graffiti schlagartig ab und es bleiben nur mehr Zeugnisse der Anwesenheit einzelner Personen.
Auf zwei Drittel Höhe des Löwenfelsens gelangt man auf einen größeren Vorplatz der von zwei monumentalen Löwenpfoten dominiert wird, zwischen denen eine breite Freitreppe endgültig zum Palast nach oben führt. Der überhängende Felsen throhnt wie ein mächtiger Löwenkopf über den krallenbewährten Pfoten und hält ein wachsames Auge auf die Besucher.
Nach dem letzten Aufstieg gelangen wir in das ausladende Palastareal, das eine herrliche Rundumsicht über das undurchdringliche Grün des Regenwaldes bietet. Auf der höchsten Stelle des Löwenfelsens befindet sich der Hauptpalast, dessen noch deutlich erkannbare Grundmauern auf einem mächtigen Zikkurat ruhen. Die Grundstruktur des Palastes erinnert damit recht stark an die summerischen und assyrischen Paläste um die 3000 Jahre früher.
Der Größenwahn des Königs wird noch deutlicher, wenn man seinen Blick über die weiteren Grundrisse der ehemaligen Gebäude schweifen lässt. Die gesamte Fläche des Felsens war bebaut, neben einer Audienzhalle mit erhaltenem Thron, befindet sich ein riesiges Wasserbecken. Rundherum schweift der Blick über endlose, grüne Weiten.
Kurz vor dem Tourist Parking Space finden sich noch weitere Reste eines ehemaligen Klosters und ein Ruheplatz, der für eine Verschnaufpause vor dem beschwerlichen Aufstieg gedacht war. Wer übrigens wissen möchte, was aus König Kassapa wurde, dem sei gesagt, dass er den Weg aller größenwahnsinnigen Despoten ging. Der verstoßene Halbbruder scharte ein Heer an indischen Söldnern um sich und griff den Tyrannen an. Dieser musste letztendlich tatsächlich aufgeben und fliehen. Als er im Sumpf stecken blieb, verließ ihn sein Gefolge und er nahm sich das Leben.
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